Besondere Merkmale in der IATF 16949
Besondere Merkmale gehören zu den sicherheitskritischsten Elementen in der Automobilindustrie. Sie bestimmen, ob ein Produkt sicher, funktionsfähig und zulassungsfähig ist. Der VDA Band Besondere Merkmale (04/2020) definiert die Kategorien und deren Bedeutung für Produktion, Qualitätsplanung und Risikobeurteilung.
Überblick: Was sind Besondere Merkmale?
Besondere Merkmale (BM) sind Produkt- und Prozessmerkmale mit erhöhtem Risiko für Sicherheit, Funktion oder gesetzliche Zulassung. Sie müssen in APQP, FMEA, Prüfplanung und PLP markiert und mit geeigneten Lenkungsmaßnahmen abgesichert werden. Der VDA unterscheidet drei Hauptkategorien.
Sicherheitsmerkmale (BMS)
Sicherheitsmerkmale umfassen Merkmale, deren Fehler unmittelbare Gefahren für Fahrer, Insassen oder Umwelt verursachen könnten. Sie stehen damit im höchsten Risikobereich und müssen streng überwacht werden. Typische Beispiele sind:
- Airbag-Zündparameter
- Bremsscheiben-Geometrien
- Festigkeit von Fahrwerkskomponenten
BMS erfordern meist 100-Prozent-Prüfung, SPC mit hohen Prozessfähigkeiten und intensive Methodenprüfung.
Forderungs- und Funktionsmerkmale (BMF)
BMF beziehen sich auf Produktmerkmale, die für Funktion, Leistung oder Kundenanforderungen entscheidend sind. Fehler beeinflussen Komfort, Lebensdauer oder Funktionsfähigkeit des Produkts.
- Drehmomentstabilität
- Passmaße bei Montageschnittstellen
- Thermische Belastungsfähigkeit
Sie erfordern verstärkte Prüfplanung, häufig SPC und erhöhte Rückverfolgbarkeit.
Zulassungsrelevante Merkmale (BMZ)
BMZ betreffen Merkmale mit direktem Bezug zu gesetzlichen Vorschriften und Homologation. Fehler können zu Produktionsstopps, Behördenmeldungen oder Verlust der Typgenehmigung führen.
- Emissionsrelevante Parameter
- Regelkonforme Kennzeichnungen
- Brennbarkeitsprüfungen im Innenraum
Prozesskontrollen für Besondere Merkmale
Die IATF 16949 fordert eine robuste und verifizierbare Absicherung besonderer Merkmale durch abgestufte Prüf- und Prozesskontrollmethoden.
Statistische Prozesskontrolle (SPC)
SPC ist die führende Methode zur Prozessstabilitätsüberwachung. Sie erkennt Trends, systematische Fehler und Variation frühzeitig und unterstützt eine nachhaltige Absicherung kritischer Merkmale.
Messsystemanalyse (MSA)
MSA stellt sicher, dass Messprozesse zuverlässig, wiederholbar und reproduzierbar sind. Gerade bei besonderen Merkmalen ist eine fehlerfreie Messung unverzichtbar.
Dokumentation & Kennzeichnung
Besondere Merkmale müssen sichtbar und konsistent markiert sein. Dokumente wie PLP, FMEA, Zeichnungen und Prüfpläne müssen eine eindeutige Zuordnung ermöglichen.
Prozessfähigkeitsindex Cpk
Für besondere Merkmale fordern viele OEMs eine Prozessfähigkeit von Cpk 1,67 oder höher. Wird dieser Wert unterschritten, sind verstärkte Maßnahmen wie 100-Prozent-Kontrollen zwingend notwendig.
Der Cpk-Wert zeigt, wie gut ein Prozess innerhalb der Spezifikationsgrenzen arbeitet und ist ein direkter Indikator für Stabilität und Wiederholbarkeit.
Fazit
Besondere Merkmale sind ein Kernelement des Qualitätsmanagements nach IATF 16949. Die richtige Klassifizierung, Dokumentation und Prozessabsicherung senkt Risiken, erhöht die Produktsicherheit und stärkt die regulatorische Konformität.

Prozessfähigkeitsindex Cpk – Aussagekraft und Einsatz
Der Prozessfähigkeitsindex Cpk ist eine Kennzahl zur Beurteilung, wie gut ein Prozess in der Lage ist, ein Merkmal innerhalb der vorgegebenen Toleranzgrenzen zu halten. Er verbindet die Streuung des Prozesses mit der Lage der Prozessmittelwerte zur Spezifikation.
Gerade bei Besonderen Merkmalen (BMS, BMF, BMZ) verlangen OEMs in der Regel einen Cpk von mindestens 1,67. Wird dieser Wert nicht erreicht, sind verstärkte Lenkungsmaßnahmen erforderlich (zum Beispiel 100 Prozent Prüfung oder zusätzliche Fehlerabsicherung).
Grundlagen – Was sagt der Cpk aus
Definition Cpk
Cpk beschreibt, wie viele Standardabweichungen zwischen dem Prozessmittelwert und der nächstgelegenen Toleranzgrenze liegen. Er berücksichtigt damit sowohl die Prozesslage als auch die Streuung. Ist der Prozess nicht mittig innerhalb der Toleranz, ist Cpk kleiner als Cp.
Typische Grenzwerte
In der Praxis haben sich folgende Richtwerte etabliert (abhängig von Kundenforderungen): – Cpk ≥ 1,33: Prozess ist im Allgemeinen beherrscht und fähig – Cpk ≥ 1,67: geforderter Wert für Besondere Merkmale bei vielen OEMs – Cpk ≥ 2,0: Prozess mit sehr hoher Fähigkeitsreserve Werte unter 1,33 deuten auf erhöhte Ausschuss- oder Nacharbeitsrisiken hin.
Voraussetzung: stabiler Prozess
Ein aussagekräftiger Cpk setzt einen stabilen Prozess voraus. Das bedeutet: Keine Sonderursachen, keine Trends oder Sprünge, Regelkarten im statistischen Gleichgewicht. Ist der Prozess instabil, ist der berechnete Cpk nur eine scheinbare Kennzahl ohne Prognosekraft.
Praktische Anwendung im QM und in der IATF 16949
Einsatz bei Besonderen Merkmalen
Für sicherheitsrelevante, funktionskritische oder zulassungsrelevante Merkmale verlangen OEMs einen nachgewiesenen Cpk. Dieser Nachweis ist im Rahmen der FMEA, im Produktionslenkungsplan und in den Prüfplänen zu verankern und bei PPF beziehungsweise PPAP beizulegen.
Verknüpfung mit SPC
Cpk ist kein Ersatz für eine laufende Überwachung. Über statistische Prozesslenkung (SPC) werden die relevanten Merkmale mit Regelkarten überwacht. Fällt der Prozess aus der statistischen Kontrolle, ist der Cpk neu zu bewerten und es sind Korrekturmaßnahmen einzuleiten.
Konsequenzen bei zu niedrigem Cpk
Liegt Cpk unter dem geforderten Zielwert, sind verstärkte Lenkungsmaßnahmen zu definieren, zum Beispiel: – engere Prüfintervalle – 100 Prozent Kontrollen oder Kameraprüfungen – Prozessoptimierung, Werkzeugnacharbeit, Parameterstudien Parallel dazu ist die FMEA anzupassen und das Risiko neu zu bewerten.
Typische Fehler und Best Practice im Umgang mit Cpk
Fehler 1: Cpk ohne Kontext interpretieren
Ein hoher Cpk ist wertlos, wenn der Prozess instabil ist oder Messsysteme unzuverlässig sind. Deshalb vor der Berechnung immer prüfen: MSA vorhanden, Prozess stabil, Datenlage ausreichend.
Fehler 2: Einmal berechnen und nie wieder prüfen
Cpk ist eine Zeitaufnahme. Änderungen an Werkzeugen, Material, Personal oder Parametern beeinflussen die Prozessfähigkeit. Darum Cpk in sinnvollen Intervallen nachrechnen und mit SPC Trends verknüpfen.
Best Practice: Cpk in die Managementbewertung integrieren
Für ausgewählte Besondere Merkmale empfiehlt es sich, Cpk Kennzahlen in die Managementbewertung aufzunehmen. So wird transparent, ob kritische Prozesse stabil laufen und wo Investitionsbedarf besteht.
OEM Übersicht: Anforderungen zu Besonderen Merkmalen
Die folgende Übersicht zeigt, wie OEMs die Kategorien BMS, BMF und BMZ interpretieren und welche Dokumente oder Methoden zusätzlich gefordert werden.
So leiten Sie Besondere Merkmale in 10 Schritten ab
Für die sichere Umsetzung der IATF 16949 ist eine systematische Ableitung der BM zwingend. Die folgende Vorgehensweise stellt sicher, dass kein kritisches Merkmal übersehen wird.
1. Kundenanforderungen auswerten
CSR, technische Spezifikationen, Zeichnungen und Normen analysieren.
2. Risikoanalyse durchführen
Fehlermodi und Auswirkungen in der FMEA bewerten.
3. Sicherheitskritische Merkmale identifizieren
Alle Merkmale, die bei Ausfall ein Risiko darstellen, zwingend klassifizieren.
4. Funktionsmerkmale bestimmen
Merkmale mit Einfluss auf Leistung, Komfort oder Effizienz.
5. Zulassungsmerkmale prüfen
Alle Merkmale, die gesetzlich oder regulatorisch vorgeschrieben sind.
6. Zeichnungen & Dokumente markieren
BM müssen klar mit Symbol und Kürzel gekennzeichnet werden.
7. Prüfstrategie festlegen
SPC, 100% Prüfung, automatisierte Systeme nach Risikoklasse.
8. Prozessfähigkeiten bestimmen
Cpk für BM ≥ 1,67, Maßnahmen bei Abweichung definieren.
9. Schulung der Mitarbeiter durchführen
Alle betroffenen Bereiche müssen BM kennen und anwenden.
10. Regelmäßige Wirksamkeitsprüfung
Audit, Prozessreview und SPC Trends als verlässliches Monitoring.
FAQ – Besondere Merkmale (BM) nach IATF 16949
Was versteht man unter „Besonderen Merkmalen“?
Besondere Merkmale sind Produkt- oder Prozessmerkmale mit erhöhtem Risiko für Sicherheit, Funktion oder gesetzliche Anforderungen. Sie werden in BMS, BMF und BMZ unterteilt.
Wo müssen Besondere Merkmale dokumentiert werden?
In Zeichnungen, FMEA, Produktionslenkungsplan (PLP), Prüfplänen und Prozessdokumenten. Sie müssen klar und konsistent gekennzeichnet werden.
Welche Prozessfähigkeit wird für Besondere Merkmale verlangt?
Die meisten OEMs fordern eine Prozessfähigkeit von Cpk ≥ 1,67. Wird dieser Wert nicht erreicht, sind verstärkte Lenkungsmaßnahmen notwendig.
